Als ein junger Mann aus Hamm die Soester Rösler-Werke führte

Als der 1961 gerade mal 23jährige Franz Disse seine Stelle als Industriekaufmann bei der Westfälischen Union in Hamm kündigte, wunderten sich Vorgesetzte und Kollegen, dass jemand freiwillig vom größten Drahtunternehmen Europas zu einem mittelständischen Familienbetrieb in die Provinz wechseln wollte. Die Provinz war Soest und das Unternehmen hieß Drahtwerke Rösler. Die Geschichte der Drahtwerke Rösler begann in Lippborg, wo im Jahre 1830 der Siebmacher und im Handel erfahrene Joseph Rösler die Herstellung von Drahtartikeln des täglichen Bedarfs wie etwa Kartoffelkörbe aufnahm. Als der Standort 1920 nach Soest verlegt wurde, firmierte das Unternehmen selbstbewusst unter „Drahtgewebe- und Geflechte-Fabrik, Verzinkerei, Sägewerk und Gitter-Fabrik Josef Rösler Lippborg i.W.“.

Franz Disse, der bei Rösler schon 1962 zum Handlungsbevollmächtigten und zwei Jahre später zum Leiter des gesamten Verkaufsbereichs ernannt wurde, kennt die Geschichte „seines Unternehmens“ aus dem Effeff: „1945 lag das Drahtwerk auf dem Areal am Opmünder Weg unter Trümmern begraben, Bomben hatten den Betrieb zu 80 Prozent zerstört. Soweit möglich wurden die Fertigungshallen wieder instandgesetzt und erweitert. Nach der Währungsreform 1948 verbesserten sich die Geschäftsergebnisse von Jahr zu Jahr, was umfangreiche Investitionen ermöglichte. Firmeninhaber in nunmehr vierter Generation waren die Brüder Josef und Walter Rösler. Josef Rösler führte das Unternehmen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns.“

Mehr als 35 Jahre seines Berufslebens verbrachte Franz Disse bei Rösler, wo er 1968 zum Prokuristen ernannt wurde. Gerne erinnert er sich an die spannenden und sehr erfolgreichen 1960er-Jahre: „Mitte des Jahrzehnts arbeiteten 250 Mitarbeiter bei uns. Produziert wurde in zwei Schichten, bei Bedarf auch in drei. Es war die Zeit der Vollbeschäftigung mit einer Arbeitslosenquote von nur einem Prozent im Durchschnitt von zehn Jahren.“ Da am Opmünder Weg keine Erweiterungsmöglichkeit bestand, begannen Ende der 1960er-Jahre die Planungen für eine schrittweise Verlagerung der Produktion zur Langen Wende im Gewerbegebiet Südost, womit 1970 begonnen wurde. Nachdem 1991 die beiden Rösler-Eigentümerfamilien das Soester Unternehmen an die Schwalmtaler Rösler Draht AG verkauft hatten, übernahm 1995 der belgische Drahtverarbeiter N.V. Bekaert S.A. das Aktienkapital der Rösler Draht AG. 

Im August 1996 wurde dann die Betriebsstilllegung in Soest verfügt und mit „strukturellen Überkapazitäten im Bereich der Drahtfertigprodukte" begründet. Damit endete auch das aktive Berufsleben des geschäftsführenden Unternehmensleiters Franz Disse. Eine seiner letzten Amtshandlungen war das Mitwirken bei der Aushandlung eines Sozialplanes, der sich nach Aussage des IG-Metall-Bevollmächtigten „bundesweit sehen lassen“ konnte. „Das war das letzte, was ich für die verbliebenen 135 Mitarbeiter tun konnte“, blickt Franz Disse zurück, der sich seither als „Hüter der Rösler‘schen Tradition in Soest" versteht. Persönlich hat der 1938 in Hamm geborene Franz Disse den Schritt nach Soest nie bereut. „Am 1. April 1961 bin ich bei Rösler angefangen, am 1. Juli haben wir dann geheiratet, weil uns eine kleine Werkswohnung auf dem Firmengelände am Opmünder Weg zur Verfügung gestellt wurde,“ erinnert sich Franz Disse an seine Soester Anfänge und die Hochzeit mit seiner Frau Irmtraud: „Seither fühlen wir uns hier im schönen Soest pudelwohl.“

Die ganze, spannende Geschichte der Drahtwerke Rösler und von Franz Disse gibt es im Buch „SOEST in den 1960er-Jahren – Schön war die Zeit!“ 

Publiziert am:

17.1.24