Ein Rennen für die Geschichtsbücher: die Gold-Nacht der Gina Lückenkemper

Ein Wimpernschlag dauert etwa 100 Millisekunden. Als Gina Lückenkemper am späten Dienstagabend im Münchener Olympiastadion zum bisher größten Erfolg ihrer Karriere stürmte, hatte sie einen Vorsprung von fünf Millisekunden (umgerechnet etwa fünf Zentimeter). So knapp ist noch nie eine Frau Europameisterin im 100-Meter-Sprint geworden. „Ich bin überglücklich, ich kann das alles noch gar nicht fassen“, sagte sie kurz nachdem ihre Gold-Zeit von 10,984 Sekunden auf der Stadionleinwand aufleuchtete.

Es war ihr fünftes Rennen mit einer zehn vor dem Komma, ihre fünfte EM-Medaille und ihre erste goldene bei einer großen internationalen Meisterschaft. Dabei sah es am Dienstagabend zwischenzeitlich sogar danach aus, dass sie im Finale gar nicht antreten könnte. „Meine Oberschenkelrückseite hat Probleme gemacht, darum war ich im Halbfinale auch stark getaped. Ich hatte schon überlegt, auf einen Start im Finale zu verzichten. Doch mein Trainer hat auf dem Warmlaufplatz die richtigen Worte gefunden“, berichtete die 25-Jährige später. Nicht nur ihr Trainer Lance Braumann war unter den rund 40.000 Zuschauern, die den Wettkampf live im Stadion verfolgten. Auch ihre Familie und einige Freunde hatten sich auf den Weg nach Bayern gemacht. „Wir haben Gina ja schon bei vielen Rennen erlebt, aber das war wirklich die emotionalste Geschichte, die ich je erlebt habe“, berichtete Vater Wolfgang Lückenkemper später. Die Lichtshow im Stadion, die Stimmung auf der Tribüne und natürlich der überraschende Erfolg von Tochter Gina – an diesem Abend passte wirklich alles.

Dass es für die frisch gebackene Europameisterin nach dem Rennen noch ins Krankenhaus ging, trübte die Freunde über diesen goldenen Abend von München kaum. Weil sie auf dem letzten Meter zum EM-Titel stürzte, hatte sie sich mit den Dornen ihrer Sprintschuhe selbst ins linke Knie geschlitzt und musste mit acht Stichen genäht werden. „Das linke Knie ist geflickt, das rechte voller Schürfwunden. Läuft“, sagte sie bei der Pressekonferenz am Tag danach zur Frage nach ihrem Gesundheitszustand.

All das verfolgt haben nicht nur die Zuschauer im Stadion, sondern auch mehr als vier Millionen Leichtathletik-Fans vor dem Fernseher, darunter auch viele Soesterinnen und Soester. „Ich habe Gina eigentlich nicht als Goldfavoritin gesehen, doch als sie in den Startblock ging, da habe ich ihren Blick gesehen und mich an früher erinnert – Gina ist unglaublich willensstark“, schwärmte Harald Bottin. Der Soester Leichtathletik-Trainer hatte Gina Lückenkemper in ihrer Zeit beim LAZ Soest (2009 bis 2015) betreut und damit die Grundlagen gelegt für diese goldene Nacht von München.

Sebastian Moritz

Weitere Infos:

https://www.gina-lueckenkemper.com/

Publiziert am:

30.12.23